VOX: Hildegard von Bingen: Diadema

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Hörproben
  • O pulchrae facies
  • O lucidissima apostolorum turba
  • O Euchari
  • O virga ac diadema
  • O successores fortissimi leonis
  • Spiritui sancto
  • Cum vox sanguinis

"Die herausfordernde Auseinandersetzung mit dem Hören und Fühlen des mittelalterlichen Menschen." - Stereoplay

Zweimal als "Die Ungewöhnlichste" Produktion des Jahres 1990 gewählt: "Sie erweitert die Hörgewohnheiten erheblich."- Hifi-Vision

"Vox entführen in die scheinbar fremde, aber zeitlos-universale, visionäre Bildwelt der Hildegard von Bingen,
die uns Heutigen wohl kaum eindringlicher vermittelt werden kann." 
Bernd Kammerer, Esotera, 3/2001

"So entstand eine faszinierende Klangkombination, die nicht nach gestern oder heute fragt,
sondern allein durch ihre klare Schönheit besticht." Frankfurter Rundschau, 9.2.1991

"Die CD "Diadema" ist von höchster Klangqualität, schlichtweg ein Hörgenuß." - Gong

"Vladimir Ivanoff: Dieser umfassend gebildete Musiker, der sich auf dem Montserrat so gut auskennt wie in der Grabeskirche, überraschte  mit einer CD, für die er Musik der inzwischen allseits bekannten Hildegard von Bingen nicht nur mit einem reichhaltigen mittelalterlichen Instrumentarium ausstattete, sondern auch mit Synthesizer-Klängen. Plötzlich gewannen die Kompositionen der gelehrten, aber vermutlich auch ziemlich temperamentvollen Äbtissin eine Vitalität und Energie, die man an heutigen puristischen und manchmal auch blutleeren Realisationen schmerzlich vermißt. Daneben konnte die Idee, den aus der Mathematik geborenen Synthesizer zu verwenden, schon nachdenklich machen, hat doch die Musik des Mittelalters nur zu sehr mit Mathematik zu tun." Norbert Ely, df kultur, 14.2.1999

VOX
Vladimir Ivanoff
 
Rose Bihler-Shah — voice
Cornelia Melián — voice
Catherine Rey — voice
Fabio Accurso — medieval flutes, percussion
Giuseppe Paolo Cecere — medieval strings, organistrum, slide trumpet
Alison Gangler — shawms, WX-7 MIDI wind controller
Verena Guido — medieval flutes
Vladimir Ivanoff — portative organ, percussion
Christian Wladimir Schultze — fairlight series III, digital & analog synthesizers, computer programming
 

Vladimir Ivanoff

VOX / DIADEMA / HILDEGARD VON BINGEN
(UBI TUNC VOX INAUDITAE MELODIAE?)

 Die Heilige Hildegard von Bingen (*1098 Bemersheim/Bergen bei Alzey (Pfalz); gestorben am 17. September 1179 Rupertsberg bei Bingen) war Mystikerin und Seherin, Ratgeberin von Päpsten, Kaisern und Fürsten. Sie verfaßte eine große Anzahl von theologischen, naturwissenschaftlichen und medizinischen Schriften. Seit ihrer Kindheit wurde sie von mystischen Visionen heimgesucht, die sie in einer Reihe von Schriften festhielt und in ihren Liedern verarbeitete.

Die Lieder Hildegards bilden mit ihrem erweiterten Tonumfang, den weit ausschwingenden Melodien, dem Aufbau aus wenigen melodischen Elementen eine geschlossene Welt für sich. Ihre Sprache zeichnet sich durch eine brillante Bildlichkeit aus und hat den apokalyptischen Charakter ihrer visionären Schriften.[1]

Die Melismatik der Lieder übersteigt alles aus dem gregorianischen Choral Gewohnte: Weitausschwingende melodische Phrasen durchschreiten häufig eine ganze Oktave. Hildegard hat eine besondere Vorliebe für weite Intervalle, Quarten und Quinten, die sie häufig als Anfangsintervalle benützt, in vielen Fällen mehrfach übereinandergetürmt.

Im 13. Abschnitt des Scivias, einer Darstellung der harmonia caelestis (Sphärenharmonie), erläutert sie ihre musikalische Tätigkeit: “Deinde vidi lucidissimum aerum, in quo audivi in omnibus praedictis significationibus mirabili modo diversum genus musicorum in laudibus civium supernorum gaudiorum, in via veritatis fortiter perseverantium, ac in querelis revocatorum ad laudes eorundem gaudiorum [...] Et sonus ille ut vox multitudinis in laudibus de supernis gradibus in harmonia symphonizans, sic dicebat […]” “Darauf sah ich hellstes Licht in dem ich [...] verschiedene Arten von Musiken hörte, zum Lobe der Freude der Heiligen, die auf dem Wege der Wahrheit tapfer beharren [...] Und jener Klang, wie die Stimme der Menge zum Lobe in hohen Schritten in Harmonie zusammenklingend, sprach wie folgt [...]”

Hildegard benützt den Begriff symphonia um die himmlische Harmonie, die innere Harmonie des Menschen, die Harmonie der von Stimmen und Instrumenten hervorgebrachten Töne zu bezeichnen. Die Seele des Menschen soll symphonia und harmonia in sich darstellen. Hildegard sieht den Menschen in der Ganzheit seiner Natur, seines Wesens und überträgt deshalb analog klangliche und musikalische Vorstellungen auf ihn.

Der Mönch Volmar, einer von Hildegards Sekretären, beklagt in einem Brief von ca. 1170, als Hildegard sich auf ihrer letzten Reise befand, die Abwesenheit der Äbtissin mit den Worten:

“Ubi tunc vox inauditae melodiae?”  “Wo ist die Stimme zu dieser ungehörten Melodie?”

Diese Frage war Anlaß für die Gründung von Vox, einer Gruppe mit Musikern aus Deutschland, Italien und den USA, die sich mit der Bedeutung früher Musik für unsere Zeit auseinandersetzt. Aufführungen früher Musik in sogenannter authentischer Aufführungspraxis nehmen in den letzten Jahren einen immer größeren Raum in unserem Musikleben ein, die genaue Beschaffenheit dieser Authentizität wird jedoch selten hinterfragt.

Drei grundsätzliche Ebenen der Authentizät können definiert werden:

- Der Versuch, eine konkrete Aufführung aus vergangener Zeit zu rekonstruieren, wenn möglich in den entsprechenden historischen Räumlichkeiten und mit den originalen Musikinstrumenten. Der Verwirklichung dieser Idee sind Grenzen gesetzt: weder die historischen Musiker, noch die historischen Zuhörer sind heute vorhanden.

- Der Versuch, die musikalische Struktur historischer Kompositionen aus den handschriftlichen Quellen herauszulesen und in einer werkgetreuen Aufführung an heutige Hörer zu vermitteln. Hier bestehen Schwierigkeiten durch unser Hörverhalten, daß sich seit dem Mittelalter stark verändert hat: die gleiche Tonfolge oder der gleiche Klang wird von einem heutigen Zuhörer völlig anders empfunden, als es im Mittelalter der Fall war.

- Der Versuch, dem heutigen Hörer ähnliche Empfindungen zu vermitteln wie sie mittelalterliche Zuhörer bei der Rezeption eines bestimmten Stückes hatten, das heißt, die Aufführungsmittel werden dem heutigen Hörverhalten angepaßt: Die Aufführung eines Stückes mit einer Besetzung von 7 - 8 Musikern hinterließ im Mittelalter den Eindruck von mächtigen Klangballungen, wird aber vom heutigen Hörer als Kammermusik eingeordnet wenn die Besetzung nicht verändert wird.

Die Interpretation der Lieder Hildegards durch das Ensemble Vox ist ein Spiel mit diesen drei Ebenen der authentischen Aufführung mittelalterlicher Musik: Die intensive Beschäftigung mit den Handschriften in denen die Lieder Hildegards überliefert sind (Wiesbadener "Riesenkodex", Villarenser Kodex in Dendermonde) ermöglichte die Entwicklung eines textgetreuen Gesangsstils, unter Berücksichtigung der für die Musik Hildegards spezifischen gesanglichen Verzierungsformeln. Die Begleitungen, Vor- und Zwischenspiele der mittelalterlichen Instrumente (Flöten, Fidel, Kleinorgel, Drehleier, Handtrommeln) entsprechen den Aufführungsgepflogenheiten der Zeit Hildegards.

Das Mittelalter begriff die Musik als eine Ganzheit aus drei Elementen:

Musica instrumentorum: Die Harmonie der Instrumente

Musica humana: Die Harmonie zwischen Leib und Seele, Gesang

Musica mundana: Die Harmonie der Elemente, der Sphären und der Jahreszeiten.

Während die ersten beiden Elemente auch in ihrem Zusammenwirken dem heutigen Menschen vertraut sind, ist die Funktion der Weltenmusik, der Musica mundana, für uns nicht mehr sinnlich erfaßbar. Der Mensch des Mittelalters erlebte das meditative Versinken in die Musik immer in dem Bewußtsein der schicksalhaften Beteiligung dieser überirdischen Sphäre, seine Sensibilität war ganzheitlich, er hörte was er fühlte, roch und wußte. Wie wir aus verschiedenen überlieferten Quellen wissen, konnte er das aufgerissene Maul einer steinernen Dämonenstatue über einem Kirchenportal oft sinnlich als Schrei empfinden. Unser heutiges Hören ist materialistisch; wir hören reale akustische Ereignisse, unser Bewußtsein fügt diesem Gehörten nur noch wenige Vorstellungen aus anderen Erlebnis- oder Sinnenbereichen hinzu. Dadurch bleibt uns mindestens ein Element der mittelalterlichen Musik, die Musica mundana, verschlossen.

Diese Tatsache war für Vox der Grund über die Grenzen herkömmlicher Aufführungen mittelalterlicher Musik hinauszutreten, Mittel heutiger Zeit zu verwenden, und damit dem heutigen Hörer einen intensiveren Zugang zur Musik des Mittelalters zu ermöglichen, diese Musik über den rein exotischen Klangreiz hinaus sinnlich greifbarer zu machen. Die Einbeziehung von Computerakustik, Experimente mit elektronischen Klangräumen, Live-Elektronik und digitalen Verfremdungsmöglichkeiten sind Symbol der Musica mundana, lassen uns den visionären Charakter der Musik Hildegards erleben und interpretieren den apokalyptischen Gehalt ihrer Texte. Mit der Vereinigung von textgetreuer Gesangspraxis, mittelalterlichen Instrumenten und den technischen Mitteln unserer Zeit malen wir unser Bild von der dreifachen Ganzheit der Musik des Mittelalters für das Heute.

Antiphona. DE VIRGINIBUS
1. O pulchrae facies     [6:56]
 
Responsorium. DE APOSTOLIS
2. O lucidissima apostolorum turba     [5:41]
 
Sequentia. DE SANCTO EUCHARIO
3. O euchari     [15:37]
 
Sequentia. DE SANCTA MARIA
4. O virga ac diadema     [5:13]
 
Antiphona. DE CONFESSORIBUS
5. O successores fortissimi leonis     [6:22]
 
Responsorium. DE UNDECIM MILIBUS VIRGINIBUS
6. Spiritui sancto     [4:32]
 
Hymnus. CUM VOX SANGUINIS
7. Cum vox sanguinis     [7:33]



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